Fußball-Legenden und ein wagemutiger Friseur Alsenborn präsentiert seine bewegende Geschichte beim Rheinland-Pfalz-Tag

Ein historischer Löwenkäfig und eine musizierende Fußgruppe in alten Fußball-Jerseys und Zirkuskostümen. Mit dem Sportverein Alsenborn präsentiert sich beim Festzug des Rheinland-Pfalz-Tages in Alzey einer der spannendsten Vereine im Südwesten einem großen Publikum. Wer in der Dorfchronik der 3.300-Seelen-Gemeinde im Landkreis Kaiserslautern blättert, entdeckt sagenumwobene Legenden. Die Spuren dieser großen Zirkus- und Fußball-Historie sind noch heute im Ortsbild sichtbar.

 

Ein Fußballstadion, in das noch heute unter Missachtung mehrerer behördlicher Auflagen wohl knapp 10.000 Zuschauer passen würden, alte Höfe, in denen einst große Zirkus-Dynastien ihr Winterquartier aufgeschlagen hatten, ein pflügender Elefant als Verkehrskreisel-Denkmal und ein niedliches Museum in der Ortsmitte: Alsenborn hat es in seiner Historie zwei Mal geschafft, den Namen der Gemeinde bundesweit zu etablieren: Als Heimat großer Zirkusfamilien und als Fußball spielende „Wundermannschaft“. Das klingt spannend – und das ist es auch. Wenngleich sich in den letzten Jahren viele verklärende, nicht immer zutreffende Legenden um die Vergangenheit verfestigt haben.

 

Besonders beliebt ist die Mär vom vereitelten Bundesliga-Aufstieg des SV Alsenborn durch den damaligen DFB-Präsidenten Hermann Neuberger. Zwar hatte dieser, wie man heute weiß, seine Finger mit im Spiel, als 1974 die Zweite Liga gegründet wurde und als Südwest-Vertreter der angeblich finanzstärkere 1. FC Saarbrücken anstelle des damals sportlich qualifizierten Teams aus Alsenborn nominiert wurde. Doch es war eben „nur“ die Zweite Liga und nicht die Erste. Was aber bereits damals die Fußballfans in ganz Deutschland erzürnte, lässt den früheren Rechtsanwalt des Vereins, Bodo Scherer, auch mehr als 40 Jahre später nicht zur Ruhe kommen. 

 

Scherer kann nur mit dem Kopf schütteln, wenn im Saarland die „ruhmreiche“ Geschichte des 1. FC Saarbrücken rezitiert wird. „Fakt 1974 war, dass der SV Alsenborn ausreichend solvent war, der 1. FC Saarbrücken dagegen nicht.“ Während die Alsenborner ihr Stadion auf eine Kapazität von 18.000 Zuschauern ausbauten, hätte, so Scherer, das Kapital der Saarländer aus gerade mal 3.600 Mark bestanden, Erträge aus der Bandenwerbung im Ludwigspark. Das damalige „Skandal-Urteil von Barsinghausen“, wie es in bundesweit erschienenen Medien genannt wurde, „hat mein Rechtsempfinden extrem verletzt“, schrieb Bodo Scherer kürzlich in einem Brief an die SVA-Vorstandschaft.

 

Den Aufstieg in die Erste Liga hat der SVA dagegen selbst verpasst – ganz ohne Einfluss aus dem Saarland. Die einstige Wundermannschaft um den legendären Halbstürmer Lorenz Horr, den Torjäger Jürgen Schieck oder den Ballzauberer Franz Schmitt, maßgeblich unterstützt von Fußball-Legende Fritz Walter als sportlichem Berater, errang zwischen 1968 und 1970 dreimal in Folge die Regionalliga-Meisterschaft und qualifizierte sich damit jeweils für die Aufstiegsrunde zur Bundesliga, erlitt seinerzeit aber auch herbe Rückschläge: Im Jahr der ersten Regionalliga-Meisterschaft verunglückte Trainer Otto Render bei einem Verkehrsunfall tödlich, 1969 wechselte Lorenz Horr für eine Ablösesumme von 336.000 Mark zu Hertha BSC Berlin: Der damals teuerste Transfer in der deutschen Fußball-Geschichte. 

 

Auch wenn es in drei Anläufen nicht gereicht hat: Die Aufstiegsspiele zur Bundesliga sind noch heute allgegenwärtig, Ankündigungs-Plakate der damaligen Spiele zieren die Rückwand der alten Tribüne. Die neue Vorsitzende des Vereins, Gudrun Heß-Schmidt, hat die Zeit hautnah miterlebt. Als zehnjähriges Kind saß sie beim Spiel im Berliner Olympiastadion gegen Hertha BSC, zu dem damals 80.000 Zuschauer pilgerten, neben dem Zeugwart auf der Ersatzbank. „Ich durfte mich nicht mucksen, aber als ich wieder in die Schule ging, war ich natürlich die große Sensation.“ 

 

Wäre also noch die Legende des Zirkuskäfigs zu klären. Denn die tragische Geschichte, die sich dahinter verbirgt, spielte sich tatsächlich in einer ausverkauften Manege ab. Viele Zirkusbetriebe nutzten die Abschiedsvorstellung nach dem Winterquartier in Alsenborn zur Generalprobe des neu einstudierten Programms. Als spannungsgeladener Höhepunkt wollte sich Menageriebesitzer Wieser im Februar 1911 auf einem Stuhl vor den auf Podesten versammelten Löwen rasieren lassen. Der bedauernswerte Friseur Peter Feierabend war wagemutig genug, sich darauf einzulassen – und bezahlte dafür mit seinem Leben. Ein Löwe wertete das Rasiermesser am Hals des Zirkuschefs wohl als Bedrohung und verbiss sich im Hinterkopf des Figaros. Nur kurze Zeit später erlag der 30-jährige Feierabend seinen Verletzungen. Noch heute erinnert ein Grabstein auf dem Alsenborner Friedhof an die dramatischen Vorkommnisse: „Die wilden Tiere haben ihn verderbet, Herr, Gott, Zebaoth tröste uns, lass leuchten dein Antlitz so genesen wir. Ich werde erlöst von des Löwen Rachen.“

 

Die Entstehung der großen Zirkus-Historie Alsenborns geht zurück in das 19. Jahrhundert. Der in Carlsberg geborene Musikant Karl Lorenz Schramm, Sohn des Marionettenspielers und Musikanten Justus Schramm, heiratete am 20. November 1847 in Alsenborn die Seiltänzerin Elisabetha Wolf aus Kirrweiler. Neben den Schramms gehörte der Musikant Simon Müller zu den Alsenbornern, die sich der Manege verschrieben hatten. Doch die künstlerisch-artistischen Leistungen ihrer Angehörigen, die international Anerkennung unter Artisten fanden, ließen schon bald auswärtige Künstlerfamillen ihre Bekanntschaft suchen. Daraus erwuchsen Freundschaften, durch gegenseitige Heiraten entstanden ganze Zirkusfamilien. Als sich dann in Artistenkreisen herumgesprochen hatte, dass die Gemeinde von den „Künstlern“ keine Steuern verlangte, kamen auch Artisten nach Alsenborn, die keine familiären Bindungen zur einheimischen Zirkuskolonie hatten. Das Zirkusdorf Alsenborn war geboren.

 

Um die Zirkustradition Alsenborns ranken sich seitdem zahlreiche spektakuläre Geschichten und Episoden. Viele davon sind verbürgt, einige lediglich der Ausbund phantasievoller Geschichtenerzähler. Allen gleich ist in der Rückschau die mitschwingende Zirkusromantik dieser längst vergangenen Zeit. Einer Zeit, die für viele jedoch auch mit Entbehrungen und Not verbunden war.

 

Die neben dem Friseur-Drama wohl bekannteste Geschichte aus dieser Zeit – genauer gesagt aus dem Jahr 1917 - handelt von einem Elefanten namens Sam. Dieser gehörte der Familie Moulier, die in Wirklichkeit Müller hieß und eine wunderschöne Villa mit Sandsteinverzierungen und einen großen Garten besaß. Die Männer der Familie waren zum Militärdienst eingezogen worden und der Zirkus musste nach Gastspielen in Frankreich auf der Flucht nach Alsenborn aufgelöst werden. Übrig blieben lediglich die schöne Tochter Carola und zwei Elefanten. Einer davon hieß Sam.

 

Alles begann damit, dass Carola ihren Garten umgraben musste. Da Pferde kaum verfügbar waren, um die Felder zu bestellen, kam der Schreinermeister Schmitt auf die Idee, doch am besten den lammfrommen Sam mit Pflug und Eisenegge auszustatten. Carola war erst skeptisch, doch binnen kürzester Zeit war der Garten umgepflügt. Wenngleich der Elefant danach randalierte und einen dicken Torpfosten aus Bruchsandstein umwarf. 

 

Als der Schreiner zuhause seiner Frau das Vorgefallene erzählte, kam diese auf die Idee, den Elefanten doch auch für eigene Zwecke einzusetzen, um auf gutem Grund Kartoffeln setzen zu können. Schließlich sei die Pflege der Simonsflur eine wahre Schinderei. Ein Elefant käme da gerade recht. Carola willigte ein. Mit einem starken, breiten Lederriemen versehen, nahm Sam seine Arbeit auf. Das Schauspiel wollten natürlich viele, hauptsächlich Kinder, hautnah miterleben. 

 

Nachdem die Simonsflur umgepflügt war, wollte sich Sam dann offenbar selbst belohnen. Obwohl ihn die Kinder die ganze Zeit gefüttert hatten, lockte ihn das angrenzende Kornfeld, durch das er mit Krupp und Egge majestätisch stolzierte. Im nächsten Feld rupfte er auch noch Dickwurzeln aus. Für Schreiner Schmitt wurde der sicher nicht ganz artgerechte Einsatz des Elefanten recht teuer: Er musste den Flurschaden danach beheben. 

 

Übrigens: Die Elefanten der Familie Moulier überlebten den Ersten Weltkrieg nicht. Auch wenn die Schuljugend manchmal Brot oder Äpfel brachten, verhungerten die beiden Dickhäuter. In der teils skurrilen Geschichte des Alsenborner Zirkus’ aber lebt der pflügende Elefant Sam weiter – und trennt als Nachbildung im Verkehrskreisel die seit 1969 vereinten Ortsteile Enkenbach und Alsenborn. Noch heute verstehen sich die Alsenborner als weltoffen, liberal und tolerant. Schließlich hätten sie der Zirkus und der Fußball an der großen, weiten Welt teilhaben lassen. Vielleicht sind daran auch die vielen wahren (und verklärten) Legenden schuld, die Alsenborn in den letzten 150 Jahren geprägt haben. Wer weiß das schon. 

 

 

Zur Sache:

Der SV Alsenborn präsentiert sich beim Festzug des Rheinland-Pfalz-Tages in Alzey am 5. Juni neben Städten, Landkreisen und Verbänden als einziger Verein aus dem Kreis Kaiserslautern. Neben einer Fußgruppe mit jugendlichen Mitgliedern des Sportvereins und des Musik- und Unterhaltungsvereins rollt ein historischer Raubtierkäfig durch die Straßen. Dabei handelt es sich um ein Relikt der einst in Alsenborn gegründeten Zirkus-Dynastie Althoff. Nachdem Althoff den Käfig an den bekannten Zirkus Krone veräußerte, erlangte dieser bundesweite Bekanntheit in der Fernsehsendung „Salto mortale“. Der Festzug wird live im SWR-Fernsehen zwischen 15 und 18 Uhr übertragen.  

   

 

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